Auf Entdeckungsreise durch Wolgast - Part 1
Kleine, große und alte Schätze hat die Green Lifestyle- und Reisejournalistin Anke Sademann in Wolgast entdeckt, als Sie über den Ostseeküsten-Radweg in die historische Stadt am Peenestrom mit dem Fahrrad gerollt ist. Hier berichtet Sie von maritimen Hinguckern und Wolgaster Kaffeekultur.
Luftschloss neben Blauem Wunder
Etwa fünf bis sechs Mal täglich öffnet sich in Wolgast die himmelblaue Peenebrücke. Manch einer beobachtet mit kindlicher Begeisterung den mechanischen Akt, wenn sich die imposante Klappbrücke wie ein überdimensionales Legospielzeug öffnet, um dem schwimmenden Berufsverkehr eine Viertelstunde lang Durchfahrt auf dem Peenestrom zu gewähren. Wie ihr Dresdner Pendant wird sie auch „Blaues Wunder“ genannt. Die meisten Menschen nutzen sie, um mit dem Regionalzug, dem Fahrrad, aber vor allem mit dem Auto auf die Sonneninsel zu kommen. 70 % der „Passanten“ sind Insel-Touristen, die der Stadt wenig Beachtung schenken. In der Hochsaison sind es manchmal an die 12.500 Fahrzeuge täglich, die auf der B 111 durch die Hafenstadt düsen und aufgrund der Nadelöhr-Situation im Stau stehen*. Dabei ist Wolgast ein kleines Stadtjuwel, das zum Verweilen einlädt. Wenn man sich Zeit nimmt und Wolgasts Geschichte besser kennenlernt, staunt man und will ein wenig länger bleiben.
*Für die Errichtung einer 6,3 Kilometer langen Ortsumgehung ist eine weitere 1,5 Kilometer lange Straßenbrücke über den Peenestrom vorgesehen. Mit der Gesamtfertigstellung wird im Jahr 2028 gerechnet.
Stadtjuwel auf den zweiten Blick
Wolgast gilt ebenso wie Anklam als Stadt in der Nähe der Insel Usedom. Das 12.000-Plus-Seelen-Städtchen liegt zum größten Teil am westlichen Ufer des Peenestroms. Der Mündungsarm der Oder und des gleichnamigen Flusses Peene trennt mit seinen vielen Naturschutzzonen und einem nicht begradigten, 100 % natürlichen Lauf die Sonneninsel vom Festland. Ob es sich lohnt, sich für das barock und mittelalterlich geprägte Städtchen einen oder auch zwei Tage Zeit zum Erkunden zu nehmen, wollten wir ausprobieren. Über den angrenzenden „Ostseeküsten-Radweg“ bzw. die „Euro Velo-Route 10“ sind wir von Greifswald nach Wolgast gerollt und waren begeistert, was das keinesfalls unscheinbare Städtchen so alles zu bieten hat.
Im Hafen schlummern die Hundertjährigen
Vom Museumshafen staffelt sich die Silhouette des vom Zweiten Weltkrieg fast unversehrt gebliebenen historischen Stadtzentrums scherenschnittartig gen Himmel. Zwischen der Schlossinsel – einer brach liegenden Grünfläche ohne Schloss (dazu später mehr) – und dem früheren Fischmarkt schlummert der Museumshafen. Von hier dreht eine Hundertjährige ein paar Mal die Woche ihre Runde bis nach Peenemünde oder bis zum Fischerdörfchen Freest. Die Wolgaster Dampffähre „Stralsund“ wurde erstmals 1631 so benannt. 1911 wurde auch die Eisenbahnstrecke bis Heringsdorf fertiggestellt. Seit 2000 ist durch den Bau der neuen Peenebrücke (die alte wurde zum Kriegsende 1945 gesprengt) ein direkter Bahnverkehr auf die Insel Usedom bis ins polnische Swinemünde möglich. Früher war in der Peene-Werft im Stadthafen noch Hochbetrieb mit an die 4000 Arbeitern. Heute gehen nur noch wenige Hafenarbeiter ihrem Tagwerk nach. Wenn man Glück hat, gibt sich Ihre Majestät - die „Weiße Düne“ - die Ehre. Das 1909 erbaute elegante Segelschiff mit dem vornehmen Namen legt vom Hafen Wolgast ab, um sich mit einer frischen Ostsee-Brise durch das Achterwasser und das Stettiner Haff auf den Weg nach Neppermin und Ueckermünde zu machen.
In der Kronwieck Straße wurde die Romantik erfunden
Direkt am Hafen und gegenüber einiger Stadtmauer-Reste befindet sich das Geburtshaus von Philipp Otto Runge (1777-1810). Das puderrosa Wohnhaus mit Atelier des Malers wird auch „Wiege der Romantik“ genannt. Es wirkt wie aus der Zeit gefallen. Der Frühromantiker soll den ersten Farbkreis erfunden haben und schon einige Atemzüge vor Caspar David Friedrich das neue Kolorit der romantischen Kunstepoche auf seine Staffelei übertragen haben. Seine vier Kupferstiche: Morgen – Abend – Tag – Nacht gelten als der Ursprung der romantischen Kunstform in Deutschland. In der 2017 eröffneten Ausstellung kann man sich interaktiv dem Künstler und seinem Lebenswerk nähern. Zur jährlichen Kulturnacht im August sind Haus und Innenhof auch für Konzerte geöffnet.
Mittelalterlicher Stadtkern mit barocker Anmutung
Vielleicht steht zu Ehren Runges auch der bunte Zunftbaum am Marktplatz (Markttag immer donnerstags). Der Brunnen vor dem creme-weißen Renaissance-Rathaus zeigt die Geschichte Wolgasts in zwölf Reliefmotiven. In der Stadtverwaltung hat auch der parteilose Bürgermeister Martin Schröter seinen Schaffensbereich. Der 2022 gewählte, ehemalige Schmied, Landwirt und Möbel-Designer hatte 2014 das gründerzeitliche Postgebäude von 1885 im Zentrum zum „Postel“ (früher Hostel, heute Hotel und unsere Wolgaster Bleibe) nach allen Parametern der Nachhaltigkeit mitkonzipiert und umgebaut. Neben einem Duzend kreativ gestalteter Themen-Zimmer mit vielen „wiederbelebten“ Vintage-Fundstücken bietet das Postel noch einen Regionalprodukte-Laden, einen eigenen Kräutergarten, grüne Energie- und Wasserversorgung sowie eine Aufladestation für E-Fahrzeuge. Das Projekt, das in den 90er Jahren geschlossene, transformierte Post- und Fernmeldeamt zu einem upgecycelten, Cosy-Ort des Verweilens zu transformieren, hatte so viel gute Aufbruch-Energie verbreitet, dass die Wolgaster Martin Schröter glatt zu ihrem Bürgermeister gewählt haben.
Kaffeekultur beim Schlagkreme-Erfinder
Wir sind zur Mittagszeit mit einem anderen, der Musik und der feinen Aquarellmalerei verbundenen Meister verabredet und nehmen zuvor noch ein Heißgetränk, im nach Jahren des Leerstands gerade wieder eröffneten, ältesten Kaffeehaus der Stadt – dem 1920 erstmals eröffneten Café, Conditorei und „Dampf Bäckerei“ Arthur Biedenweg. Hier wurden zu DDR-Zeiten Früchte und Eier konserviert und angeblich auch die Schlagcreme mit k als Sahneersatz erfunden. Versorgungsengpässe in schweren Zeiten wurden durch Tanzveranstaltungen kompensiert. Gleich ein paar Meter weiter auf Luftlinie ist erst kürzlich ein beliebtes Inklusions-Café eröffnet worden.
Eine Kaffeemühle brüht Stadtgeschichten in 3 D auf
Im stadtgeschichtlichen Museum Kaffeemühle ist neben den Original Freester Fischerteppichen auch die bewegte Geschichte der viel umkämpften ehemaligen Residenzstadt der Pommerschen Herzöge zu sehen. Die Ausstellung zeigt die Entwicklung vom 8. Jahrhundert über die Okkupation der Schweden im Dreißigjährigen Krieg, die Seefahrer, die Industrialisierung bis zur Zeit des Faschismus und des Sozialismus. Vor allem aber lüftet die Ausstellung das Geheimnis des 1713 endgültig zerstörten Wolgaster Renaissance-Schlosses. Ein durch die Werke zeitgenössischer Maler in 3-D rekonstruiertes, digitales Stadtschloss ist seit kurzem im Museum zu sehen. Kaffeemühle heißt das Museum übrigens wegen seiner Gebäudeform. Früher war es ein Gasthaus. Hier roch es höchstens nach Kaffee und guter Hausmannskost zum frisch gezapften Küstenbier.
Fortsetzung folgt...
Im August berichtet Anke Sademann in unserem Magazin, was Sie außerdem in Wolgast bei ihrem Besuch erlebt hat.
Über die Autorin: Anke Sademann
Die Green Lifestyle- und Reisejournalistin und Autorin Anke Sademann streift nicht nur durch europäische Gefilde. Auch ihre Wahlheimat Berlin und sein Umland bis hoch zur Küste erkundet die Slow-Travel-Spezialistin seit mehr als eine Dekade. Anke Sademann schreibt für diverse Magazine und Zeitungen mit dem Fokus auf nachhaltiges Leben. Sie hat auch unsere Sonneninsel besucht: Authentisch und nahbar vermittelt sie ihren ganz persönlichen Blick auf Usedom und seine nachhaltigen Reiseangebote.
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